Einsam in der Filterblase
Wenn über Filterblasen gesprochen wird, dann meist im Zusammenhang mit jenen, die sich absichtlich nur innerhalb der eigenen bewegen. So vermeiden sie störende Umwelteinflüsse, die ihr subjektives Weltbild mit objektiven Tatsachen kontaminieren könnten. Als Kollateralschaden wird in Kauf genommen, von der Aussenwelt kaum mehr etwas mitzubekommen und folglich die Realität als zunehmend feindlich wahrzunehmen. Am Ende müsste einem vor lauter Nabelschau vor sich selbst übel werden. Tatsächlich passiert das ausgesprochen selten. Zur Selbstbewunderung steht kaum einer mehr vor den brutal ehrlichen Spiegel. Heute postet man Selfies. Dieses Selbsttäuschungsinstrument zeigt stets eine scheinbar wahre Welt, die genauso erscheint, wie man sie sehen will. Dank der blauen Pille der Sozialen Medien wird man sein Spiegelbild geradezu narzisstisch lieben. Wer versehentlich die rote erwischt, schliesst die Wandspiegel weg wie Dorian Gray sein Bildnis. Oder lässt Schneewittchen in den giftigen Apfel beissen.
Die Pandemie bietet dank ihres der Komplexität geschuldeten ständigen Überforderungspotentials sowie einer der Dynamik inhärenten Widerspruchstendenz den perfekten Nährboden für eine bedrohliche Expansion von Filterblasen. Längst haben absonderliche Sichtweisen nicht nur politisch und medial gewuchert, sondern fressen sich ungebremst hinein in die noch verbliebenen Resträume tatsächlicher Wirklichkeit. Für manches Individuum schrumpfte dabei die reale Welt auf ein kaum zum Überleben ausreichend grosses Habitätchen. Zusammen mit den physischen Einschränkungen sind Anhänger nüchterner Fakten und sachlicher Dialoge durch die Blasenpest zunehmend auch in geistiger Hinsicht ernsthaft gefährdet, jeglichen Halt zu verlieren. Wer in den kargen Reservaten durchhalten will, muss sich aktiv bemühen um die Aufrechterhaltung der brüchigen Verbindungen mit der Realität. Das bedeutet vor allem, sich laufend über die Wirklichkeit zu informieren und auszutauschen.
Wir können die Welt nie so sehen und verstehen, wie sie ist, indem wir kurz hinschauen. Das geht bei einer Kugel weder physisch noch ist es angesichts ihrer Mannigfaltigkeit im Laufe eines Menschenlebens machbar, alle und alles zu verstehen. Es ist schon unmöglich, einen einzigen Menschen umfassend zu erkennen, wir durchschauen nicht einmal uns selbst. Es braucht Modelle, Vereinfachungen und Zusammenfassungen, welche Fachleute in ihrem eigenen Wissens- und Erfahrungsgebiet erstellen und anhand derer sie ihr Wissen anderen zugänglich machen. Nur so können wir uns ein Bild der Welt machen. Seit der Schulzeit ist bekannt, wie aufwändig es ist, sich Wissen anzulesen, anzuhören und anzueignen. Aber es lohnt sich, denn ohne sind wir hilflos, wehrlos und vor allem machtlos. Dazu verdammt, blind zu vertrauen und folglich anfällig für Irritationen, Lügen und Manipulationen. Dann haben wir Angst, werden emotional, verkriechen uns in vermeintlich sichere Filterblasen und verlassen die weite rationale Welt. Daraus befreien können uns Information, Fakten und Wissen. Wer nachvollziehen kann, was gerade passiert, muss Mächtigen nicht ohnmächtig vertrauen, sondern agiert auf Augenhöhe mit Entscheidungsträgern.
Wissen ist tatsächlich Macht. Die Macht, Entwicklungen zu verstehen, sie gutzuheissen oder vernünftig dagegen zu argumentieren. Wir leben in einem Land, in dem das Volk dank Milizsystem und direkter Demokratie mitreden kann. Einzige Voraussetzung ist der Zugang zur Information. Das ermöglichen die Medien, indem sie berichten, einordnen und kommentieren. Weil kein Journalist, kein Medium je alles vermitteln und berücksichtigen kann, weil das Einzelne immer subjektiv ist, braucht es inhaltliche, geographische und mediale Vielfalt. Die heterogene Menge macht die Objektivität. Das gilt auch für die Finanzierung von Informationsangeboten: Abos, Werbung, Investoren und die Gesellschaft – in Form von Fördergeldern. Letzteres besteht bereits seit langem und muss dringend an die neuen Gegebenheiten angepasst werden. Der Staat hat auch mit dem neuen Medienpaket nicht urplötzlich einen Einfluss auf redaktionelle Inhalte. Die NZZ erhält seit Jahren indirekte Medienförderung, stimmte ihre Argumentation gegen das neue Gesetz, wäre sie bereits heute schon nicht unabhängig. Wenn Marc Walder sagt, er will die Regierung in der Pandemiebekämpfung unterstützen, ist das problematisch, im Kern aber richtig. Medien sollen den Staat kritisch beobachten, protestieren, wenn etwas falsch läuft, ihm aber auch nicht schaden, wenn es grundsätzlich richtig läuft, schon gar nicht aus monetärem oder politischem Eigeninteresse. Mit der Medienförderung verschiebt sich der Einfluss weg von den stillen unbekannten Investoren im Hintergrund, die Medien für ihre ureigenen Zwecke instrumentalisieren, hin zu uns, zur Leserschaft, zum Volk und zur Demokratie. Denn uns dienen die Medien.