Machtlose Demokratien

Wladimir Putin begeht mit seinem Krieg ein abscheuliches Verbrechen gegen sein Brudervolk in der Ukraine, einzig weil es eine Demokratie sein will. Unsere Hilflosigkeit ist unerträglich, die Drohungen des Despoten an die Welt sind unfassbar. Die Ungeheuerlichkeit trifft uns in einem wunden Zustand. Wir freuten uns auf Frühling, Fasnacht und Festivals, dann geschieht, was man hier und heute längst nicht mehr für möglich halten wollte. Wieder füllen sich die Timelines in sozialen Medien und stillen Sondersendungen den Informationshunger. Objektivität und umsichtige Einordnung anerkennend, bleibt ein Kloss im Hals, wo die eben erst geschluckte Kröte steckte. Diesmal ist die Gefahr deutlich sichtbar. Nach der Ohnmacht gegenüber einem neuen Virus bekommen wir abermals zu spüren, wie machtlos und verletzlich wir gegenüber Gewalten sind, die sich nicht an geltende Gesetze halten. Freiheit und Demokratie beruhen auf gegenseitigen Zugeständnissen, geteilter Verantwortung und einer fairen Verteilung von Ressourcen, Kosten und Nutzen, die es laufend umsichtig und oft mühsam an geänderte Bedingungen und neue Herausforderungen anzupassen gilt.

In einer Welt, die immerfort wachsen will, in der Informationsflut, Konsumlust und Eigeninteressen ständig zunehmen, während Verzicht, Rücksicht und Solidarität kaum mehr eingefordert werden können, ist es schwierig, alle einzubinden und mitzunehmen. Es fehlt an Zeit, Geduld und am Willen, sowohl bei den Vorangehenden als auch bei jenen, die mithalten und mitgestalten sollen. Freiheit und Demokratie sind aufgrund ihres Wesens angreifbar und im Gewaltfall gegenüber skrupellosen Herrschern deshalb machtlos, weil sie sich im Gegensatz zu verlogenen Despoten an vereinbarte Regeln halten müssen, wenn sie sich nicht selbst verraten wollen. Werden sie böswillig angegriffen, verlieren sie in jedem Fall, es bleibt ihnen nur die Standhaftigkeit und die Treue zu ihren Werten, so wie es die ukrainische Bevölkerung gerade eindrucksvoll zeigt. Wir wähnten uns in einer stabilen Weltordnung, nun zerbrach sie einmal mehr dort, wo siegreiche Mächte gefährliche Bruchstellen hinterlassen haben. Trotz unserem Wissen darum, setzen wir uns für den Weltfrieden noch immer nicht aus pazifistischer Überzeugung ein, sondern vor allem deshalb, weil wir in Wohlstand und Sicherheit leben wollen.

Jahrzehntelang wollten wir daran glauben, dass dieser Wille ausreicht, um das Elend des Krieges hinter uns zu lassen. Das könnte so sein, wenn die Welt für alle die gleiche wäre. Wenn von der Hybris des Westens die Rede ist, dann deshalb, weil wir die Realität jenseits unserer eigenen Lebenswelt allzu gerne ausblenden. Despoten entfalten ihre Macht nicht über Nacht. Lange schon schauen wir zu, wie Demokratien zerfallen und zu Autokratien umgebaut werden, wie sich Finanzmacht auf immer weniger Ultrareiche konzentriert und sich Einfluss verschiebt zu Konzernen und in idiologische Kanäle, derer sich Skrupellose hemmungslos bedienen, um bestimmte Zielgruppen in ihrem Sinn zu manipulieren. Im ungefilterten Lärm sind inhaltliche Debatten kaum mehr transparent zu führen, dafür wird vor aller Augen beschimpft, verdreht und gelogen. Statt nachvollziehbar berechtigte Kritik zu üben, werden lächerliche Scheingefechte geführt, die eigenen Räte und Regierungen diskreditiert und verlässliche Qualitätsmedien diffamiert. Unsere Selbstbezogenheit ist derart absurd, dass wir uns sogar das Eingeständnis eigener Fehler vorwerfen.

Gegen das Böse kennen wir ein Jahrhundert nach der Einsicht, dass Wohlstand nur mit Frieden zu haben ist, immer noch kein besseres Mittel, als erst wegzusehen und dann zu hoffen, dass andere das Problem mit Waffengewalt lösen. Die Busenfreunde Putins werden zu recht kritisiert, aber nicht alleine für ihre profitgierige Nähe zu einem skrupellosen Herrscher, sondern auch, weil sie ihren angeblichen Freund nicht davon abhalten konnten, dieses Verbrechen zu begehen. Wütend wird unverzügliches Handeln ausgerechnet von jenen gefordert, deren Hände aus gutem Grund mit ethischen und rechtsstaatlichen Regeln gebunden sind. Weder die Abrüstung noch der Glaube an den Frieden waren falsch, aber dass wir es mehr oder minder aktiv zuliessen, dass freigewordene Ressourcen in die Taschen von Regimen und Konzernen flossen, statt damit betroffenen Völkern und Arbeitnehmenden zu helfen, ihrerseits auf dem Weg zu Freiheit und Wohlstand voranzukommen. Freiheit und Demokratie beruhen auf gegenseitiger Rücksicht und Fairness aller Beteiligten: erst wenn wir mit allen nicht nur uns meinen, können wir beweisen, wie mächtig Demokratien am Ende tatsächlich sind. Dann kann auch kein Tyrann mehr demokratische Schwächen für seine Zwecke nutzen.

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