Detrumped
He is history. Zumindest als twitternder Präsident. Der Sturm aufs Kapitol brachte das Fass endlich zum Überlaufen. Die für durstige Medien lukrative Quelle ständig verfügbarer Dummheiten und Dreistigkeiten wurde abgeschaltet. Lange stürzten sich die einstigen Gatekeeper wie gefrässige Möwen auf jeden Krümel, den Trump ihnen vor die Füsse warf. Es folgte die unvermeidbare mediale Darf-man-das-Debatte: Darf ein privates Unternehmen Benutzer ausschliessen? Warum nicht, das dürfen auch Gastronomiebetriebe, Fluggesellschaften und die Arbeitgeber. Nur eben nicht aus diskriminierenden Gründen; das wäre bei Trump dann doch eher schwierig zu belegen. Vielleicht hätte man nicht sofort auch gleich alle Beiträge löschen müssen. Die Wirkung jedenfalls blieb nicht aus: seit der Sperrung nahmen die Falschmeldungen ab. Offen blieb hingegen die Frage, ob ein Präsident auf seinem Privatkanal Offizielles publizieren darf, und ob die Medien nicht von Anfang an eher dem offiziellen, nicht gesperrten Twitterkanal von POTUS ihre Aufmerksamkeit hätten schenken sollen.
Es ist schwer nachvollziehbar, wie lange man diesen Präsidenten hat gewähren lassen, wie rasch und gedankenlos auch Qualitätsmedien von verantwortungsvollen Vermittlern zu blinden Multiplikatoren mutierten. Im Juni 2018 ist der NZZ noch aufgefallen, dass Trump ein Pausenclown ist, dessen «Reden» erstens in Gänsefüsschen geklemmt gehören und zweitens vor Eigenlob und Selbstbeweihräucherung strotzen. Zum Lachen gebracht hat er bestenfalls Freunde satirischer Formate, tatsächlich aber blieb sein Lebenselixier die Bewunderung seiner selbst. Noch grösser war nur sein Drang, diese Bewunderung mit der Menschheit zu teilen. Allzu bald rückte Trump vom Thema in der Randnotiz auf die Titelseiten bitterernster Berichterstattung auf. Dies obwohl bereits vor seiner Wahl jedem klar sein musste, dass man es hier mit jemandem zu tun bekam, der vor nichts und niemandem Respekt hatte, weder vor Frauen (When you’re a star, they let you do it. You can do anything. Grab ’em by the pussy. You can do anything), noch vor Menschen überhaupt, selbst ein Mord würde ihn nicht seine Beliebtheit kosten (I could stand in the middle of 5th Avenue and shoot somebody and I wouldn’t lose voters). Zynischer geht es nicht.
Natürlich können Medien einen Amtsträger nicht ignorieren, auch wenn er Unsägliches absondert. Aber muss man ihm deshalb jedes Mal gleich das Megaphon hinhalten, unbedarft jede Grenze überschreiten und die eigene Verantwortung abgeben? Wer journalistischen Regeln folgt, gibt Verbrechern keine Plattform, berichtet rücksichtsvoll über Katastrophen und bleibt vorsichtig bei Skandalen. Wo war die Umsicht, als Trump zum Pöbeln aufrief? Waren die perfekt inszenierten und gratis verfügbaren Bewegtbilder so verlockend, der Twitterlärm nur billiger als Agenturmeldungen? Die jüngsten Ereignisse zu seinen Vergehen und Verstössen schlugen deutlich weniger hohe Wellen, obschon sie faktisch von weit grösserer Bedeutung sind als so manches davor. Nun denn, der Trampel ist Geschichte und wird höchstens noch von Hexen gejagt. Wenn auch viele Amerikaner ihn trotz allem ein zweites Mal gewählt haben und es wohl abermals täten, so ist immerhin eine Mehrheit heute der Meinung, dass er eine Mitschuld an den hässlichen Ausschreitungen trägt. Womit Trumpelstilzchen traurigerweise tatsächlich recht behält: er könnte wohl auch jemanden auf offener Strasse erschiessen, ohne Wähler zu verlieren.
Bleiben wird der Schaden, den seine Fakenews und Lügen angerichtet haben, als sie aus den rechten Verschwörungssümpfen in die Mainstreammedien überkochten. Dank der fleissigen Zitiererei von sozialmedialem Müll in ansonsten für Qualität und Zuverlässigkeit stehenden Titeln, kamen neue Konsumentengruppen in den zweifelhaften Genuss von ihnen zuvor kaum zugänglichen Fakenews. War die Besorgnis ob der newsdeprivierten Jungen noch gross, berechtigt und anhaltend, wurde die gerade nicht an die Gefahren unübersichtlicher und zweifelhafter Kanäle gewöhnte ältere Generation mit den Folgen von alternativen Fakten auf zuvor verlässlichen Kanälen alleine gelassen. Während das Leserverhalten junger Menschen vom Wischverhalten geprägt sein mag, ist jenes der erfahrenen und treuen Leser verbunden mit der Überzeugung, dass Qualitätsmedien Wahres und Richtiges berichten. Viele glauben das bis heute und tun sich schwer damit, in ihren Leibblättern Meinungen und native Werbung von Fakten und Wahrheiten zu unterscheiden. So liegt es wohl nicht alleine an der mäandernden Qualität der offiziellen Pandemikommunikation, wenn sich ausgerechnet jetzt Verwirrung, Verleiden und Verschwörung verbreiten, sondern auch an den Folgen einer nicht immer löblichen medialen Begleitung von jahrelangem Trumpgezwitscher.