Von der Glasdecke sind Nebelschwaden geblieben

Ja, ich bin Feministin und setze mich ein für Gleichberechtigung, Menschenwürde und Selbstbestimmung aller Menschen. Wer heute an der Richtigkeit dieser Einstellung zweifelt, stellt Dinge in Frage, die in unserer Verfassung stehen. Sicher bin ich auch eine Emanze, fast immer abwertend gemeint sind damit Frauen, die ein selbstbestimmtes, unabhängiges und eigenverantwortliches Leben führen. Wohl steht auch die Mehrheit der Männer auf eigenen Beinen, aber es gibt dafür keinen missbilligenden Begriff, weil wir das schlicht für völlig normal halten. Frauen querulieren, wenn sie traditionelle Rollen nicht mehr akzeptieren, emanzipierte Frauen verschieben territoriale Grenzen und gelten folglich in allen Lebenslagen wenigstens als schwierig. Verlassen Männer ihr Revier, erobern sie mutig Neuland und man attestiert ihnen anerkennend eine liberale Haltung. Der Alltag berufstätiger Frauen weicht jenseits des Privaten kaum ab von jenem der Kollegen, doch trotz gleicher Ausbildung, Lebensrealität und Zusammenarbeit in denselben Teams, Projekten und Unternehmen, ist der kleine Unterschied geblieben: sie sind Frauen unter Männern, auch im Büro, jeden Tag. 

Nicht dass daran an sich etwas schlecht wäre. Es ist im öffentlichen Berufsalltag nur in den meisten Fällen irrelevant, welches Geschlecht jemand hat. Zumindest sollte es so sein, und ist es auch – in vielen wesentlichen Dingen. Doch da ist noch immer eine subtile Ebene, die im Alltag mancher Frauen hartnäckig wie der Novembernebel im Flusstal hängen geblieben ist. Männer werden nicht mokant gefragt, ob man noch Manntage sagen darf oder nicht und man bittet sie nicht wegzuhören, bevor Herrenwitze zum Besten gegeben werden. Niemand schenkt ihnen im Erfolgsfall Blumen, man lobt und honoriert sie mit Bonus und Beförderung. Frauen dankt man dafür, dass sie mit ihrer indefiniblen Weiblichkeit irgendwie zum gemeinsamen Erfolg beitragen. Am Gewerk von Männerhänden wird der Inhalt durchaus kritisch gewürdigt, aber nur Frauen haben halt das lobenswerte Händchen für gestalterische Schönheit. Für jene Frauen, deren Berufsalltag seit Jahrzehnten exakt jenem ihrer männlichen Weggefährten gleicht, schwingt in vielen dieser feinen und sicher selten bewusst mit böser Absicht geäusserten Reaktionen stets eine gegenüber Männern qualitativ verminderte Wertschätzung mit.

Das Anderssein zeigt sich heute tatsächlich nur noch selten in sexistischer Zuteilung von Lob und Tadel, aber die Glasdecke existiert weiter in der stumm wertenden Wahl darin, was gelobt oder getadelt wird. Das Verständnis privater Geschlechterrollen strahlt tief hinein in den öffentlichen Berufsalltag. Daran würde auch eine staatlich verordnete Gleichmachung wohl nur wenig ändern. Aber es fehlt grundsätzlich am Verständnis dafür, warum viele sich gegen die Tendenz wehren, alle Menschen die Gestaltung ihrer jeweiligen Rollen selbst bestimmen zu lassen. Wer sich bei Quoten- und Genderdiskussionen zu Wutanfällen hinreissen lässt und fürchtet, die Geschlechter würden demnächst abgeschafft, dem sei versichert: das wird nicht passieren. Wenn von Gleichstellung die Rede ist und man über nach wie vor vorhandene Ungleichheiten spricht, geht es um nichts mehr als gleiche Chancen für alle. Weil das für manche weniger Vorschusslorbeeren und mehr Wettbewerb bedeutet, leisten sie ihren stillen Widerstand gegen eine wirklich objektive Wertung von Leistung und eine konsequent geschlechtsneutrale Zuteilung von Lob und Tadel.

Jung hielt es für normal, dass Frauen in der inneren, privaten Welt bleiben, während es Männer in die äussere, öffentliche zieht. Beide tummelten sich andersherum im falschen Teich und fühlten sich folglich unwohl. Zweifellos geht es sicher vielen so, der Mensch verlässt bekanntlich nur ungern seine Komfortzone. Wer es dennoch tut, sollte das aber dürfen, und wer bleibt, muss irgendwann auch zum Schwarm gehören können. Im Berufsalltag sind wir alle gleich, die hier relevanten Rollen stehen jenseits von persönlichen Vorlieben in Stellenprofilen und haben bestenfalls ein grammatisches Geschlecht. Solange Frauen – und Männer im umgekehrten Fall – die Ausnahme im Team sind, fallen sie notgedrungen allein durch ihre äusserliche Andersartigkeit auf. Nicht allen ist es wohl dabei, aber erst wenn ihr Anblick für alle zur Normalität geworden ist, werden sie nicht mehr auffallen. Dann wird sich auch der Nebel der subtilen Unterschiede verziehen, der zwar keine #MeToo-Debatte nötig macht, aber dennoch vielen Frauen vor der Sonne steht. Weil der Teufelskreis sich nicht von alleine lösen wird, braucht es die Genderdebatte – samt einem wie auch immer gearteten äusseren Zwang zu mehr Diversity. 

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