Frauenquoten stiften Frieden
Eine Frauenquote produziere Quotenfrauen, und Frauenquote sei das wohl frauenfeindlichste Wort überhaupt, meint ein Mann. Lohngleichheit, Kaskadenmodell und eine andere Elternpolitik sind durchaus zu begrüssen, doch eine Alternative zur Quote sind sie nicht, im Gegenteil: eine Quote würde helfen, auch damit endlich voran zu kommen. Wenn es trotz Geduld auch nach Jahrzehnten nicht gelingen will, die Machtverteilung an die realen Verhältnisse anzupassen, dann muss nicht mehr gehadert, sondern gehandelt werden. In unserem nördlichen Nachbarland wurde aus ebendiesem Grund eine Ost-Quote ins Spiel gebracht. Auch dort geht es nicht um die Produktion von Quotenossis, sondern um die gesunde Mischung aller Stimmen in den Schaltzentralen. Nur wer zu Wort kommt, wird wahrgenommen, nur wer angehört wird, ist betroffen, und nur wer sich betroffen fühlt, handelt mitverantwortlich und engagiert sich. Die Quote kann gerade dort helfen, eine in Schieflage geratene Machtverteilung wieder ins Lot zu bringen, wo dies aus welchen Gründen auch immer nicht von alleine geschieht. Es geht nicht um Frauen, auch nicht um Regionen. Es geht um das uralte Versprechen gleicher Chancen für alle, die in einer Gesellschaft zusammenleben wollen und sollen.
Geistig mit der Aufklärung und faktisch in den grossen Revolutionen verloren erst die herrschenden Monarchen ihre Macht über alle anderen, dann der Adel über die Bürgerlichen, das Bürgertum über Arbeiter und Bauern, Männer über Frauen und Weisse über Schwarze. Doch all die Gleichheit hat auch ihren Preis: mit jedem Schritt wurden die Minderheiten diverser, die Mehrheiten heterogener und die Meinungen vielstimmiger. Was man heute Quote nennt, verhalf hierzulande seit langem schon so manchem demokratischen Entscheid zu langer und nicht minder breiter Akzeptanz. Nur wenn Mehr- und Minderheit dahinter stehen, kann es ein Miteinander geben. Wir haben dem Kind allerdings stets schönere Namen gegeben: die Zauberformel galt über vierzig Jahre als ungeschriebenes Gesetz und unsere Konsenskultur bedeutete bis 1999, dass laut Verfassung höchstens ein Vertreter pro Kanton gleichzeitig im Bundesrat sitzen durfte. Seit 1971 sind damit auch Vertreterinnen mitgemeint, der Wunsch nach angemessener Repräsentation der Geschlechter ist durchaus verständlich.
Bis heute steht die ausgewogene Vertretung von Landesgegenden und Sprachregionen in unserer Verfassung. Manche Veränderungen haben sich still etabliert, anderes musste laut erkämpft werden. Immer wieder passten wir die Gleichgewichte an die Gegenwart an. Stets gab es jene, die mehr mitreden und gestalten wollten, und andere, auf dessen Kosten dies geschehen sollte. Während zum Thema Frauenquote die einen sofort Quotenfrauen fürchten, malen andere die Mächtigen gerne als alte weisse Männer an die Wand. Nicht weil junge Frauen nie an alten Rollenbildern samt damit verbundenen Privilegien hängen, sondern weil er dem herrschenden Mehrheitsbild ziemlich gut entspricht. Jede Sichtweise ist eine Frage des Standpunktes, die Debatte über den eigenen hinaus erst ermöglicht das Vorankommen. Tatsächlich klingt Kompetenz auch in Frauenköpfen noch immer männlich, Erfahrung kommt erst mit dem Alter und Macht ist zumeist tatsächlich weiss. Wer gegen eine Quote damit argumentiert, dass sich Frauen erst mal gleichmässiger über alle Karrierestufen und Berufsbilder hinweg verteilen sollen bevor sie oben ankommen dürfen, spricht aus der Perspektive der Etablierten. Der Mann samt seinen Attributen ist als Norm gesetzt. Was davon abweicht, muss alleine deshalb schon als Gefahr für die herrschende Ordnung erkannt und gebannt werden.
Eine angemessene Vertretung der halben Gesellschaft in den Schaltzentralen ist alles andere als eine übertriebene Forderung. Das gilt nicht nur für Frauen. Wer für Minderheiten die Hürden so hoch ansetzt, dass sie unüberwindbar werden, muss mit Reaktionen rechnen. Ironischerweise sind es gerade die Errungenschaften in Sachen Chancengleichheit, welche uns aufeinander losgehen lassen. Wenn Abstiegsängste zu Antifeminismus führen und Männlichkeit als toxisch gilt, dann wird von allen der falsche Baum angebellt. Die wirklich Mächtigen beweisen zufrieden schmunzelnd einmal mehr, wie gut der Königsmechanismus bis heute funktioniert: teile und herrsche! Nie gab es so viele Gruppen, die man für die eigenen echten ebenso wie vermeintlichen Nachteile verantwortlich machen konnte, und nie gab es mehr Mittel und Möglichkeiten, sie gegeneinander aufzuhetzen. Der Klassenkampf ist so kompliziert geworden, dass man vor lauter sozialmedialen Freunden in der echten Gesellschaft nur noch Feinde sieht und im Liken den Hofknicks vor der Herrschaft nicht mehr erkennt.