Abgehängt und eingespannt
Er hat die Abgehängten abgeholt und eingespannt: Donald Trump. Während die einen editorial von aufgeführten Freudentänzen berichteten, beschrieben andere das Wahlergebnis als Albtraum mit bösem Erwachen. Zu ihnen gehören auch viele Medienschaffende, die sich nach der Entscheidung ihrerseits abgehängt fühlten und mit reichlich Selbstkritik trösteten. Post festum wurden Umfragen kritisiert, Vorwürfe gemacht und Stilfragen erörtert. Beschuldigt wurden Social Media und die chronisch elitäre Lügenpresse, zu viel sei über politisch Unkorrektes und zu wenig über korrekte Politik gesprochen worden. Medien, die unter der Digitalisierung leidend sich aus ökonomischen Gründen Qualität immer weniger leisten können, vermögen weder mit Fakten noch mit Meinungen etwas auszurichten gegen Twitterbots als Wahlkampfhelfer und Fake News als Geschäftsmodell cleverer Teenager.
Fakt ist, dass jene mehrheitlich schwiegen, die sich schliesslich für Trump entschieden. Aussagekräftige Umfragen sind unmöglich, wenn die Mehrheit sich nicht traut, ihre Meinung laut zu äussern, zumal der Rest von Presse, Politik und Echokammern manipuliert ohnehin keine eigene mehr hat – und wie manche Politiker meinen – auch keine haben soll. Jedenfalls scheint dies vielen gerade dann zu passen, wenn es um die ganz grossen Zusammenhänge geht: Handelsverträge und Flüchtlingsströme. Unter beidem aber leiden jene, die man weiland als Globalisierungsverlierer bezeichnet hat und heute als «Abgehängte» tituliert. Sie fühlen sich unverstanden, übergangen und vergessen von den Regierenden, den Reichen und Mächtigen, verdrängt und überrollt von dem, was ist und noch kommen wird. Sie geben denen ihre Stimme, die sie hören und ihnen Besseres versprechen. Nun wetzen auch die Freudentänzer ihre Messer, die diesseits des grossen Teichs die zunehmende Zahl der Abgehängten jetzt erst recht für ihre Zwecke einspannen wollen.
Hier wie dort geschieht all dies im Namen von Volk und Demokratie und zum Wohle der von der regierenden Elite in der Schweigespirale Vergessenen und Abgehängten. Es ist eine lukrative Zielgruppe, denn die Mittelschicht wächst, und zwar nach unten. Wo früher Aufstiegshoffnungen den liberalen Geist beflügelten, erstickt nun die Abstiegsangst den Sinn für Offenheit. Fleissig angefacht wird das Furchtfeuer von den Populisten, die den Teufel pechschwarz an immer neue Wände malen: der aufgeblasene Staat saugt einem das Geld aus der Tasche, die Fremden assimilieren uns (und wir wissen: resistance is futile). Während für den strampelnden Mittelstand die Steuerbelastung zunimmt, man ab fünfzig kaum mehr Arbeit findet und die Rente nicht mehr sicher ist, sinkt das Einkommen, schmilzt der Bonus und löst sich das Ersparte im Negativzins auf. Da fragt man sich schon, warum das grosse Geld schwerelos nach oben schwebt und das kleine Münz zu Boden kracht. Aus Unzufriedenheit und Angst wird seit jeher Wut, für die es klare Fronten braucht, damit sie abgeladen werden kann. Da ist differenziertes Abwägen aller Aspekte ebenso wenig gefragt wie die Einsicht, dass es nicht für alles immer auch den einen Schuldigen gibt. Es geht auch einfacher: Abgehängte gegen Eliten. Wer zu nah an der Trennlinie steht, kann sich da rasch auf der andern Seite handelnd wiederfinden.
Die Elite, das sind die andern, die Schuldigen. Kein Wunder, will keiner mehr dazu gehören. Reichten früher auch Geldadel und Goldinterieur nicht, um Teil von ihr zu werden, kann man sich heute ungeniert trotz Gold und Geld glaubhaft als ihr nicht zugehörig gegen sie auflehnen. Selbst Macht ist kein Grund mehr, sich ihr zurechnen zu müssen. Verdächtig hingegen sind Intellektuelle und Tolerante, politisch Korrekte und moralisierende Gutmenschen. Gegen diese Elite lehnt sich das Volk auf, angeführt von deren Vertretern, die behaupten, als einzige die Wahrheit zu sagen, aufrichtig zuzuhören und ehrlich für das Richtige einzustehen. Statt politisiert wird polarisiert, wobei paradoxerweise gerade Pole wie Dominosteine fallen: mit links und rechts lässt sich nichts mehr erklären, auch das konservativ-progressiv Schema bröckelt. So ist es keineswegs mehr inkonsequent, wenn Arbeiter einen Unternehmer wählen, Latinos für einen Weissen stimmen, Arme sich von einem Wohlhabenden verstanden fühlen und Frauen Trump mehr trauen als Clinton. Die Frauensolidarität gehört ebenso der Vergangenheit an wie Regierungsdynastien. Nach den angry birds kamen die angry white men, und nun – so viel Gleichberechtigung muss sein – die angry white women. Sie sind weiss, weiblich und wütend, wenn auch nicht alle aus demselben Grund.