Wütender Lösungsunwille
Wie aus Wut Politik wird, fragte Maybrit Illner ihre Gäste in einer Spezial-Sendung. Es ging um Wutbürger und Populisten, um Trump, den Brexit und die Flüchtlinge. Dies sind die dauerbrennenden Themen auf den Agenden der täglichen Talkrunden, in denen die üblichen Verdächtigen scheinkontrovers Probleme zerreden, statt sie anderswo lösungsorientiert zu debattieren. Die vierte Gewalt, welche über die Machenschaften der drei übrigen zu berichten hätte, verwandelt sich ausgerechnet im Zuge der gratiskulturellen Digitalisierung in einen vierten Wirtschaftssektor, der kraft multimedialer Kanäle die Problembewirtschaftung vor allem für andere Branchen profitabel macht. Um aus einem Übel maximalen Nutzen ziehen zu können, muss man es möglichst lange vor einer Lösung bewahren. Am einfachsten gelingt dies, indem man Kraut und Rüben mischt, Äpfel mit Birnen vergleicht und das Ganze schliesslich in die Endlosschlaufe schickt: gegendert hat garantiert nichts mehr Aussicht auf Klärung.
Aufquellende Wut wird Politik, indem man sie empört in Worte fasst, erst als Empörung ist sie konstruktiv. Bleibt Wut nichts als Erregung, lässt sie sich ausgezeichnet bewirtschaften und vermarkten. Sollten sich die Wogen dennoch einmal glätten, hilft man einfach etwas nach. Auch deshalb leisten vom Sog der Ökonomisierung erfasste Medien mit wachsender Begeisterung lieber der Themenvermarktung vorschub, statt den öffentlichen Diskurs mit sorgfältigerem Engagement anzuregen. Beim Stimmenfang profitieren Populisten davon, materiell vor allem jene, deren Stimmen Politiker und Medien das nötige Gehör verschaffen. Stéphane Hessel schrieb in seinem Essay, das Grundmotiv der Résistance sei die Empörung gewesen. Nun regt sich Widerstand, wenn überhaupt, dann gegen eine offene Gesellschaft, die sei, so klagte Daniel Cohn-Bendit bei Maybrit Illner, heute gar nicht mehr beliebt. Wer heute Wut in Worte fassen will, schreit mit Hashtag auf, sozial-medial pessimistisch Gestimmte erkennen ohnehin längst statt eines unüberwundenen Geburtstraumas den resignierten Rückzug ins unkritisch Tribale. Zwar ist dort aus magischen Kräften mittlerweile finstere Verschwörung geworden, doch angesichts der ob all der geschürten Ängste ungemütlich gewordenen Freiheit kann man die Flucht in die Geschlossenheit verstehen.
Wütende Erregung mag politisches Gepolter nähren, zur lösungsorientierten Politik trägt Empörung mehr bei. Gerade deshalb liebt den Lärm von allen Seiten, wer vordergründig offene Märkte lobt, tatsächlich aber nach geschlossenen Systemen strebt. Je polarer die Positionen, desto eisiger der Gegenwind, mit dem zu kämpfen hat, wer einer Lösung allzu nahe kommt. Ebenso zweischneidig verhielt es sich auch mit der Fernsehfilmversion des interaktiven Stücks Terror – Ihr Urteil: schuldig oder nicht schuldig bleibt auch in theatralischem Abendkleid und philosophischer Festfrisur wenig mehr als lautes like or don’t like. Ein Problem des Journalismus sei, dass Texte kaum je zu einem Gespräch führten, stellte Autor Ferdinand von Schirach unlängst fest. Dem Theater andererseits kann gerade das noch gelingen, wenn auch in jüngster Zeit und ausserhalb der inneren Kreise mit nicht selten zwiespältigen Gefühlen. Auch der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung begrüsste in der Diskussion bei der ARD die Tatsache, dass die Diskussion des für ihn keineswegs erledigten Themas nach zehn Jahren endlich wieder aufgenommen wird. Das eurovisionäre Verbundenheitsgefühl einer nicht nur gesellschaftlich, sondern eben auch geographisch grossen Debatte, vermittelten die jeweiligen Schaltungen zu den nachbarländischen Beurteilungen.
Wütend machen könnte einen die vergebene Chance, weil die Idee tatsächlich vielversprechend klang: gebührenfinanzierte Sender laden endlich wieder zur Versammlung im medialen Forum ein, sogar persönliches Engagement und eine anspruchsvolle Diskussion wurden versprochen. So anregend man auf dem Sofa auch diskutiert haben mag, den meisten dürfte rasch klar geworden sein, dass aus der Wut keine Empörung würde. Zwar stiess das grenzüberschreitende Ereignis gar generationenübergreifend auf reges Interesse, doch man ahnt es: hüben wie drüben war der Quotenerfolg wohl weniger dem thematischen Gehalt, als dem Titel Terror zu verdanken. Auch die Hoffnung auf ein Lehrstück zerschlug sich spätestens mit der Zeit-Kolumne des deutschen Bundesrichters Thomas Fischer, der das mediale Event als heiseren, populistischen Schrei nach Aufmerksamkeit auf Level Schwarzwaldklinik einstufte. Wer trotzdem nach Alternativen sucht, stösst auf diesem Pfad nur noch auf die angepasste Urteilsbegründung für den Fall, dass das Publikum den Piloten schuldig gesprochen hätte. So bleibt der Wunsch, statt mit problemwälzenden Wutbürgern und populistischen Politikern einzuschlafen, endlich wieder von wütend über politische Lösungen debattierenden Bürgern wachgehalten zu werden.