Luftblasen platzen lautlos
Die Sommerpause ist längst vorbei, ich unterzog mich keiner Newsdiät und auch an einer Schreibblockade lag es nicht, dass dieser Kanal länger stumm geblieben ist. Tatsächlich aber hört man besser, wenn man leiser tritt. Beim Lesen fragt man sich gelegentlich, woher ein Schreibender die Zeit für seine Zeilen nimmt, mit welchem Ziel er sie zumeist sich selber stiehlt und ob sich der Aufwand am Ende lohnt. Kommentiert und diskutiert wird denn auch besonders gern das Schreiben selbst, von der Literatur- bis zur Medien- und Netzkritik sättigt sich so manches Thema in der Endlosschlaufe an sich selbst und schwingt sich in immer neue Metahöhen empor. Auch der Lärm in Sachen Lügenpresse versus Wahrheitsblogs ist weder im Sommergezirpe untergegangen noch in der Hitze ausgetrocknet. Unter ökonomischem Druck diversifizierten die grossen Medienhäuser weit über den Tellerrand der Publizistik hinaus, las man, Leitmedien schrieben ihren Geldgebern in getarnten Werbetexten nach dem Mund und fütterten die Leserschaft mit allzu leichter Kost.
Deutlich zuverlässiger, transparenter und wahrer seien unabhängige Beiträge, die im grenzenlosen Netz mit schwindelerregender Geschwindigkeit erscheinen, sich neu erfinden, fusionieren, plötzlich anderswo auftauchen und manchmal auch wieder verschwinden. Die gesellschaftliche und polische Debatte findet im digitalen Zeitalter mehr und mehr im Netz ihre Foren. In Kommentaren auf Newsplattformen und Facebook, auf Twitter und in Blogs finden sich Gleich- und Andersgesinnte zum Schulterklopfen, Säbelrasseln und Klingenwetzen ein. Hier wird nicht nur informiert, sondern auch Geheimes ans Licht gebracht, werden Fakten gecheckt, die Lügenpresse entlarvt und Wahrheiten gesagt. Doch was auf den ersten Blick dank Transparenz die Demokratie zu sichern scheint, hält das Versprochene bei genauerem Hinsehen selten. Das Leisertreten macht auch die Filterblasen besser sichtbar, die einen mit ihrer Durchsichtigkeit unbemerkt umhüllen und säuberlich vom Inhalt unzähliger weiterer Blasen abschirmen, in denen sich andere Informationen ihrerseits zu Meinungen formen.
Vorzeiten klatschten die Weiber waschend am Dorfbrunnen, während ihre Männer sich um den Stammtisch versammelt auf die Ausübung des ihnen vorbehaltenen Stimmrechts vorbereiteten. 1971 bekamen nicht nur die Frauen ihr Stimm- und Wahlrecht, sondern übernahm auch die SRG von der SDA die alleinige Verantwortung für ihre Radionachrichten. So fand sich Familie Schweizer fortan in der guten Stube vor dem Sendegerät ein, um sich zu informieren und das Erfahrene zu diskutieren, bevor man sonntagsidyllisch gemeinsam an die Urne spazierte. Nun hören wir den Informierenden oft über Kopfhörer zu und teilen andern unsere Meinung tippend mit. Wieder trifft man sich nicht physisch am selben Ort, sondern findet sich im eigenen Forum zur sortengetrennten Debatte ein. Die Frau würde ihrem Mann schon sagen, was er stimmen soll, hiess es früher, was vermuten lässt, dass Herr und Frau Schweizer sich nach ihrer Rückkehr von Dorfbrunnen und Stammtisch über das individuell Erfahrene auch miteinander unterhalten haben. Das gesonderte Debattieren ist nur dann ein Problem, wenn jeder sich in seiner Filterblase über seine eigene Meinung freut.
Das Netz nimmt wohl gierig alles auf und man kann sich darin jederzeit geilgeizig bedienen, doch zu einem wahrlich gemeinsamen Debattenforum fürs reale Leben taugt es wenig. So manches Blog vermittelt unverzichtbare Fakten und erhellende Ansichten, Beiträge können geteilt, kommentiert und kritisiert werden – keine Frage, überall entstehen lebendige Diskussionen, kann man Erkenntnisse gewinnen und sich eine eigene Meinung bilden. Luftblasen aber platzen lautlos: verstummt ein Kanal im Netz, geschieht es meist still und unbemerkt. Keine Timeline macht mit Senderrauschen auf ausgebliebene Tweets, Posts und Links aufmerksam, sie wirkt wie immer: übervoll. Replayfunktion, Mediatheken und Youtube haben uns vergessen lassen, wie Testbild und Bildrauschen uns im analogen Zeitalter noch auf versiegte Informationsquellen aufmerksam gemacht haben. Sind sie dereinst verschwunden, wird es vielleicht tatsächlich niemandem mehr auffallen, doch wer Leitmedien und Service public selbst in ihrer digitalen Erscheinungsform ausschliesslich als elitäre Holzmedien und Staatssender verunglimpft, ignoriert deren Funktion als öffentliche Arena. Weil sie vor aller Augen und Ohren Informationen liefern, Reaktionen sammeln und so jene Seidenfäden verknüpfen, die täglich überall ausgelegt werden, weben sie den festen Stoff der uns erlaubt, am selben Strang zu ziehen. Nur kümmert es im postfaktischen Zeitalter halt keinen mehr, wenn er ins Leere schreit – vom eigenen Echo erwartet niemand Widerspruch.