Die Fünfer und der Flügel

Seit der Fünfräppler 1981 seine goldene Farbe bekam, sortiere ich sie regelmässig aus und sammle die Goldstückchen in einem Glas. Der Grund für den Weggliverzicht war ein Sparziel: ich träumte von einem Flügel. Natürlich hätte es wahrscheinlich eher einen Kipplaster voller Fünferli gebraucht, aber es war eine sinnvolle Fortsetzung des erzieherischen Werts kindlichen Kässelisparens. In jener Zeit muss man auch die Wurzeln der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens vermuten: Gotte und Götti eröffneten gerne ein Sparkonto zur Geburt ihrer Patenkinder, von da an reichte das Kinderstrahlen aus, um von der Verwandtschaft regelmässig mit Münzen beschenkt zu werden. Es war ein analoges Vergnügen, ein Privileg der digitalen Einwanderer: die phantasievollen Gebilde, in denen Zweifränkler und selten Fünfliber geräuschvoll verschwanden. Es dauerte seine Zeit, bis die bunten Würfel, Schweine oder Hasen schwer und voll genug waren, um periodisch ihren Aggregatzustand zu ändern, indem das Geld auf dem Sparbuch gutgeschrieben wurde. So physisch das Münzsammeln war, die Gutschrift blieb als abstrakte Grösse ein unfassbares Versprechen für die Zukunft.

Es kam der Tag, an dem die Sinnlichkeit klingenden Metalls in einer scherbelnden Sinndiskussion endete. Der geneigte Teenager hatte erkannt, dass andere Taschengeld bekamen, wieder ein bedingungsloses Grundeinkommen! Eine bahnbrechende Entdeckung, der die Erkenntnis auf den Fersen folgte, dass die Welt voller Ungerechtigkeiten war. Die wöchentlichen Beträge reichten von neidmässig erträglich bis massloss unerhört. Es war auch kein Trost, dass manche dafür mit Haus- und Gartenarbeitsstunden eine Gegenleistung erbringen mussten, denn das musste man auch, allerdings für Gottes Lohn. Eine Ungeheuerlichkeit, auch wenn die Erwachsenen es lieber Selbstverständlichkeit nannten. So kam es, wie es kommen musste: während andere ihren ersten Lehrlingslohn in Adidas Rom investierten, rutschte unsereiner langsam in den materiellen Abgrund. Statt einer anständigen Arbeit nachzugehen, drückten wir auf Staatskosten weiter die Schulbank und verbrachten die Freizeit nicht im Konsumrausch, sondern mit ehrenamtlichem Engagement.

Die Sparerei schien kein Ende zu nehmen: das Jahresbudget für Material, Gruppenhöcks und Sommerlager reichte trotz grosszügigen Zuschüssen von Bund und Kanton nirgends hin. Wir waren nicht news-depriviert, wir waren materiell depriviert. Für eine auch nur minimale gesellschaftliche Akzeptanz fehlte uns vom fahrbaren Untersatz bis zum Sony-Walkman alles, womit wir uns hätten Respekt verschaffen können. Der einzige Ausweg aus der Misere waren Ferienjobs: Aushelfen im Lager der Landi oder Putzen im Schulhaus, wobei man ständig ausgelacht wurde, weil man das richtige Arbeiten eben nicht gewohnt war. Was blieb einem also anderes übrig, als in die Verlängerung zu gehen. Als Klassenkameraden sich das erste Auto kauften und eine eigene Wohnung bezogen, fristete man selbst noch immer ein Dasein im kalten, feuchten und sonnenlosen Zimmer im Hochparterre. Ein klappriges Fahrrad und die Lieblingsjeans, weil es nur diese eine gab, war alles, was man zumindest mit zugekniffenen Augen sein Eigen nennen konnte. Kein Wunder, verbrachte man die Freizeit mit freiwilligen Diensten und befreite nach Murgängen steile Wiesen von Steinen, packte bei der Ernte mit an oder half in einem Berghotel beim jährlichen Anstrich der Vorfenster.

Auch wenn der Dank samt Kafi Schnaps und wunderbaren Stunden mit herzlichen Menschen im Grunde stets für alles Lohn genug war, tat es gut, als nach und nach die eigene Arbeit mit mehr als nur einem freundlichen Händedruck verdankt wurde. Während man sich den Kopf mit geistigem Luxus füllte, ging man abends und in den Semesterferien einer Beschäftigung mit Hand und Fuss nach. Man freute sich über das Trinkgeld im Service und über den einigermassen stabilen Kontostand dank ernstzunehmender Erwerbsarbeit. Die Nachbarskinder hatten sich gerade mit einem Leasingvertrag ihren Sportwagentraum erfüllt und die Hypothek fürs Eigenheim abgeschlossen, als ich mit mulmigem Gefühl das Konto überzog, um einen anständigen Anzug fürs Bewerbungsgespräch zu kaufen. Kein Einkommen war je bedingungslos zu haben: fürs Sparkonto musste man zur Welt kommen, dann zu Omas Wangentätscheln lächeln und schliesslich war es Arbeit, für die man seinen Lohn bekam. Das Sparkonto blieb der Zukunft verpflichtet und floss in die Vorsorge, das Übrige hat irgendwann auch ohne den Griff ins Glas mit den Goldmünzen für die Erfüllung des Traums gereicht. So kam es, dass ich heute beides habe: die Fünfer und den Flügel.

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1 Antwort

  1. traumradeln sagt:

    Schöne Geschichte :-).

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