Worte ohne Taten

Erpel und eine Ente am Ammersee (Foto: Johanna Angele)

Pünktlich zum Weltfrauentag erschien auch diesmal der Schillingreport, und wieder stagniert der Frauenanteil in den Chefetagen. Ein weiteres Jahr wurde über Lohnungleichheiten, Frauenquoten und Betreuungsmodelle diskutiert, ohne dass sich etwas getan hätte. «Gender Diversity in den Geschäftsleitungen zu erreichen, bleibt ein Generationenprojekt», bemerkt Guido Schilling in der Medienmitteilung, und spricht dabei nur von Diversity, nicht von Ausgeglichenheit. Geprägt war das wirtschaftspolitische Genderkonzert wie immer von dissonanten Klängen zu biologistischen Erklärungen, gesellschaftlichen Idealvorstellungen und steuerlichen Ungerechtigkeiten. In Endlosschlaufe wird argumentiert, es gäbe zu wenig qualifizierte Frauen, die auch bereit seien, Verantwortung zu übernehmen und den geforderten zeitlichen Aufwand zu leisten. Seit Jahrzehnten bringt man Frauen das Netzwerken bei, das sie angeblich schlechter beherrschen als ihre männlichen Kollegen, fördert und fordert sie sowohl gezielt als auch nach dem Giesskannenprinzip. Doch nach wie vor steigen viele beim Stillen aus oder reduzieren ihr Pensum auf ein prekäres Mass und verzichten als Mutter für Mann und Nachwuchs auf die eigene Karriere. Weil es anders nicht geht, weil es sich gehört, oder weil es ihnen so besser gefällt.

Erstaunlich daran ist, dass die Ausbildung längst auf allen Stufen paritätisch ist und sich auch die extracurricularen Aktivitäten weitgehend angeglichen haben. Frauen sind Studentenverbindungen, Serviceclubs und Logen beigetreten und frönen denselben Hobbies wie die Männer – den gefährlichen ebenso wie den ungesunden. Andererseits sind kochende Männer heute ebensowenig eine Seltenheit wie boxende Frauen. Den Vätern gleichgestellte Mütter haben zwischenzeitlich die nächste Generation von Mädchen und Buben aufgezogen und aus dem Tochtertag ist der Zukunftstag geworden. Geändert hat sich trotzdem nichts: es gibt zu wenig qualifizierte Frauen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Zwar diskutieren heute viele Paare die Möglichkeit, sich zu gleichen Teilen an der Familienarbeit zu beteiligen, bei den meisten bleibt es allerdings beim Plan. Weil die Kinder ihre Mutter brauchen, sich Fremdbetreuung nicht sinnvoll organisieren lässt und der Mann mehr verdient, so lange er seine Karriere nicht mit Teilzeit ruiniert. Statt dass sich die Lage für Frauen verbessert, verschlimmert sie sich für die Männer: nun geraten sie zunehmend in die Doppelbelastung. Einerseits, weil sie ihre Kinder auch gerne aufwachsen sehen, andererseits, weil Frauen sich ihre Lebenswünsche trotz Karriereverzicht erfüllen wollen.

Während man am einen Ende um Lösungen für eine ausgeglichenere Geschlechterverteilung auf Chefsesseln ringt, wachsen am anderen die Ansprüche an die begrenzte Zeit, die uns zur Verfügung steht. Die Gesundheit verlangt mehr Sport, gesünderes und damit aufwändigeres Essen, das Informations- und Unterhaltungsangebot übersteigt unsere Priorisierungskapazitäten bei weitem. Zudem hat unser Bedürfnis nach realen sozialen Kontakten mit der Verfügbarkeit der virtuellen keineswegs abgenommen. All das braucht Zeit, über deren Knappheit ebenso wie über eine sinnvolle und gerechte Verteilung auf sämtliche Anspruchsgruppen obendrein sowohl in den Medien als auch in der Politik und im eigenen Umfeld extensiv gesprochen werden muss. Ohne diese Diskussionen wären die harten Verhandlungen über die Zuteilung der Zeitbudgets nicht zu bewältigen, wäre die tägliche Konsensfindung unmöglich. Schliesslich leben wir in äusserst dynamischen Zeiten, ständig ändern sich die Umstände und verlangen nach einer neuen Lagebeurteilung, die Abmachung von gestern kann morgen schon überholt sein.

Angesichts all dessen erwischt sich manch einer gelegentlich beim Gedanken an die gute alte Arbeitsteilung samt patriarchaler Verfügungsgewalt. Vielleicht ist Resignation eine Erklärung für die wortreichen Iterationen, denen keine Taten folgen. Wir kapitulieren vor den ständig wachsenden Ansprüchen. Schwächelndes Wachstum, sinkende Einkommen und negative Zinsen verlagern Expansionslust und Renditehunger aus dem Öffentlichen ins Private. Ständig wollen wir mehr Angebote und haben immer weniger Zeit, sie überhaupt anzunehmen. Das, was wir haben könnten, aber nicht haben können, wird zum alltäglichen Verzicht, ein Opportunitätsverlust von frustrierendem Ausmass! Dabei ist das, was wir bei allem Reden tatsächlich völlig vergessen haben, in Wahrheit gerade das Verzichten. Zeit ist nun einmal ein endliches Gut, das sich weder aufsparen, vermehren noch veräussern lässt. Wer mehr von etwas will, muss auf anderes verzichten. So lange Männer aber ihre gepachtete Macht nicht abgeben wollen und Frauen auf der geliehenen Sicherheit bestehen, bleibt sie eben daheim und hält ihm den Rücken frei für seine Verantwortung im Chefsessel. Schön, dass wir wieder einmal darüber geredet haben!

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1 Antwort

  1. traumradeln sagt:

    Eine sehr überzeugende und schlüssige Diagnose. Den Aspekt, dass die Männer sich auf der einen Seite mehr in die Kindererziehung einbringen, es aber auf der anderen Seite kaum Effekte hat, habe ich so noch nicht gelesen.
    Ich kann als Papa, der noch nach DDR-Kultur Papa war, vieles nur mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen. Schließlich war damals (und in meiner Familie bis heute) die gemeinsame volle Berufstätigkeit mit all ihren gesellschaftlichen Effekten die Regel. Wir haben heute eine sehr verrückte Zeit.

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