Die Sex-RS
Minderjährige Burschen gehen ins Puff! In Deutschland war das bereits vor Jahren ein Thema, hierzulande gewährte man der Meldung gerade einen Kurzauftritt. Während manche sofort nach Verboten schrien, hatte Michèle Binswanger in bester @SandroBrotz-Manier ein paar Fragen dazu. Fishing for Mansplaining, könnte man sagen, und prompt kamen die Antworten von einem Herrn. Natürlich gibt es auch legitime Gründe für den Bordellbesuch, berechtigte Zweifel am Schaden, den er anrichtet und da ist die Moral, die schliesslich niemand gepachtet hat. Andererseits tauchen unweigerlich Genderfragen auf, inwiefern ist Sex überhaupt lernbar und ist Prostitution nicht an sich fragwürdig? Das Thema ist ein Minenfeld, unabhängig davon, von welcher Seite man es anpackt. Natürlich muss eine moderne Gesellschaft Prostitution tolerieren, so lange sie freiwillig, sozial verträglich und geregelt ist. Dazu soll sie die rechtlichen Rahmenbedingungen widerspruchsfrei bestimmen und sicherstellen, dass Freiwilligkeit und Machtsymmetrie von Sexarbeitenden und Freiern gewährleistet sind. Schliesslich braucht es die Bereitschaft, sämtliche indirekt mit der Prostitution verbunden Probleme entschlossen zu adressieren. Darüber hinaus muss aber auch eine breit abgestützte und konstruktive Auseinandersetzung mit den sich ständig wandelnden Wertvorstellungen stattfinden.
Ein erneutes Aufflammen der Debatte wäre zu begrüssen, nach der geforderten Abschaffung und dem Ruf nach Verboten in der Öffentlichkeit ist es um das Thema Prostitution wieder still geworden (wer sucht, findet es noch kurze Zeit im Helmhaus). Tatsächlich forderten manche in der Tat etwas vorschnell ein Verbot von Sexarbeit. Es liegt in der Natur des Feminismus, dass er protestiert, wenn es wie in der Zwangsprostitution um die Ausnutzung von Frauenkörpern geht. Doch Moralin und Prohibition sind selten hilfreich, auch wenn wir längst in einer Gesellschaft leben, in der Verbote immer dann gefordert werden, sobald einer meint, ein anderer sollte sich anders verhalten. Nun aber kommt nach den BerührerInnen wieder eine neue Dimension ins Spiel: Ausbildungsprostitution. Eben noch forderten Sexarbeiterinnen die Anerkennung ihrer Tätigkeit als Beruf, nun braucht es bald Meisterdiplome für ausbildende Berufsprofessionelle. Nach der Sachbuchflut und dem Sexspielzeug für den Schulunterricht soll es jetzt die Sex-RS richten.
Junge Männer könnten im Milleu das Handwerk lernen, um später in ihren Partnerschaften im Rahmen des allgemeinen Leistungsdrucks perfekt zu funktionieren. Warum nicht auch die jungen Frauen? Klarheit ist besonders auf Datingplattformen effektiv: Welchen Gürtel hast Du im Sex? Passt. Wir sehen das ohnehin viel zu verkrampft. Die Finanzbranche kriselt, die Medienbranche kränkelt, es ist höchste Zeit für eine neue Boombranche: die neoliberalisierte Prostitution. Sex einkaufen wie Gemüse im Laden, mit Bonuspunkten für Vielkonsumierer. Geiz ist geil im Flat-Rate-Bordell, Escortgirls und Callboys fürs Topkader als Fringe-Benefits und 5-Sterne-Sex zum Hochzeitstag. Papa gönnt sich auf dem Heimweg vom Büro im Wechsel mit dem Fitnessstudio auch mal einen Puffbesuch, holt frische Brötchen fürs Abendessen und setzt sich anschliessend total relaxed und gut gelaunt an den Familientisch. Mama bedient vormittags Freier, holt dann die Kinder von der Schule ab und kocht ihnen zufrieden das Mittagessen. Entspannte Partnerschaft eben, und dank Topausbildung und regelmässigen Wiederholungskursen genügt man auch im eigenen Bett höchsten Ansprüchen.
Früher schickten Väter ihre Söhne zu den Huren, allerdings nicht, weil die Ausbildung überzeugte, sondern weil man zu verklemmt war, den Nachwuchs über die Freuden der Liebe aufzuklären. Heute ist Sex in der Öffentlichkeit längst präsenter als im Privaten. Die Sinnlichkeit ist ausgezogen, wo einst Rosenblütenpuder das Boudoir zierte, prägt nun staubige Prüderie intime Räume. Es ist nur konsequent, wenn Sex und Liebe aus dem Schlafzimmer in die Schule abgeschoben werden und schliesslich in professionelle Hände übergehen. Die Arbeitsteilung schreitet weiter voran: Liebe findet man beim Partnervermittler und Sex im Bordell. Weil uns immer mehr überfordert, geben wir Verantwortung an andere ab, an den Staat, an Bildungsinstitutionen, an Berater und Experten, Hauptsache, es sind fremde Hände. Doch Sexarbeitende sind weder Therapeuten noch Ausbildnerinnen. Man soll sie keinesfalls stigmatisieren, ihnen aber auch nicht erlauben, sich als etwas auszugeben, was sie nicht sind. Sie können uns nicht beibringen, was wir eigentlich verlernt haben: rechtzeitig miteinander reden und aufeinander eingehen. Für unsere Partner, Söhne und Töchter müssen wir uns schon selbst die Zeit nehmen, wenn wir nicht ganz vergessen wollen, was Liebe überhaupt bedeutet. Tun wir das nicht, werden wir bald nicht mehr wissen, wozu Sex überhaupt gut sein soll – unsere Fortpflanzung können wir nämlich schon lange outsourcen.