Ruckzuck, zackzack!

Foto: Johanna Angele
Foto: Johanna Angele

Dating-Plattformen boomen und für jedes Gefühl gibt es ein passendes Emoticon. Ein vernetzter Mensch bläst zum Abschied weder Küsse von der Hand noch haucht er Liebeserklärungen in begehrte Ohren. Nostalgiker tippen stattdessen bedeutungsvolle Satz- und Sonderzeichen, ansonsten verschickt man eins dieser gelben Vollmondgesichter japanischer Provenienz. Für ein Rendezvous muss niemand mehr geduldig den passenden Moment abwarten, beherzt die richtigen Worte finden, man verabredet sich spontan und bequem mittels Dating-Apps. Was Jürg Randegger 1970 am Skilift in der Schweiz noch vermisste – jetzt geht es auch bei uns ruckzuck, zackzack! Wer vor einem leeren Blatt Papier sitzt, muss überlegen, was er schreiben will, bei so mancher Kurznachricht wird im besten Fall mit den Fingerkuppen gedacht. Getipptes ist schnell gelöscht oder geändert, notfalls schickt man ein Sorry-Emoticon hinterher. Kein Wunder häufen sich die Klagen über negative Einflüsse von Handy und Internet auf die Liebe und das Glück zu zweit. Doch es ist nicht der digitale Zeitgeist, der unser Balz- und Paarverhalten verändert, sondern die Unverbindlichkeit, die sich überall breit macht.

Im Schatten der Anonymität lässt sich allerhand wagen, im Staub der Schnelligkeit so manches vertuschen. Was wir heute schreiben, ist so flüchtig, als wäre es gesprochen, nur ohne offenbarenden Augenkontakt. Die modernen Kommunikationsmittel bieten grosszügig Spielraum für Selbstinszenierungen. Endlich kann man sein, wer man sein will, oder vielmehr meint, sein zu müssen, um allen Ansprüchen von aussen zu genügen. Ansprüche, die ein jeder auch ohne Googlebrille stets vor Augen hat, weil sie uns als Informations- und Werbewind laufend um die Nase säuseln. Entsprechend werden die Profile der verschiedenen Onlineauftritte gestaltet, damit wir von anderen auch so wahrgenommen werden, wie wir es wünschen, optimal angepasst ans jeweilige Zielpublikum. Weil im Netz die Aura fehlt, muss das, was man im direkten Kontakt noch spürte, hier kategorisiert und priorisiert für Mensch und Maschine im intendierten Sinn verstanden werden. Wer sich ständig vermarktet, hat auch gelernt, dass man sich konsequent am Kunden orientiert. Selbstverständlich bietet man an, was nachgefragt wird, und läuft dabei Gefahr, mehr und mehr zum schleimigen Fisch im Teich des allgemeinen Einheitsbreis zu werden.

Ob wir jemanden um seiner selbst willen lieben oder aus Selbstliebe nur den Fremdglanz begehren, manch einer kann es nur noch schwer auseinanderhalten. Wie Schneewittchens Königin schätzt man jenen Spiegel, der einem für möglichst viele hörbar zuruft: Du bist die Schönste im ganzen Land. Geliebt wird passiv, nicht mehr aktiv, man liebt nicht einfach so, sondern for a reason: weil man geliebt werden will. Schliesslich geht die Rechnung nur im Falle einer Win-Win-Situation auf. Die Zeit, die man oft genug vergeblich in die Liebe investiert hat, man braucht sie jetzt gezielt für die Optimierung des eigenen Netzauftrittes. Wer hat schon Musse und Geduld, auf Amors Pfeil zu warten und dabei zu riskieren, dass der verträumte Zufallsjäger einen am Ende noch verfehlt. Endlich kann man proaktiv vorgehen und auf der ganzen Welt nach dem perfekten Partner suchen. Wenn wir heute glauben, in Sachen Liebe aktiv zu sein, dann erwarten wir passiv, dass sich unsere Bemühungen auszahlen. Andernfalls fühlen wir uns schwer betrogen und folglich nicht verpflichtet, am gewählten Produkt auch festzuhalten.

Noch weniger sind wir bereit, uns mit Halbfabrikaten zu befassen. Die Auswahl von der Stange ist gross wie nie, wozu erst einen Schneider bemühen und auf den Anzug warten, sein Kleid gar selber nähen, wenn das passende Gewand leicht, schnell und effizient weltweit gesucht, rasch gefunden und bequem geliefert werden kann? Zumal man es dann bei Nichtgefallen ohne weiteres auch umtauschen darf. Was nicht im Gestell steht oder wenigstens morgen im Briefkasten liegt, interessiert uns nicht mehr, wir begehren, was sofort verfügbar ist, und das kann morgen schon wieder etwas anderes sein. Zufriedenheit allerdings stellt sich nur ein, wenn man auch Zeit und Energie dafür hergibt. Das Ringen darum macht aus Begehrtem erst Erfüllung. So ist es vor allem die Unverbindlichkeit, mit der wir unsere eigenen Ziele verfolgen, die uns nimmt, was wir schliesslich als Verlust beklagen. Weil wir keine Zeit mehr investieren in die Erfahrung, uns einem Wunsch zu nähern, rinnt uns das Glück ständig durch die Finger. Es ist als ob wir glaubten, beim Winterspass auf Brettern ohne Anstehen und Sesselbahnfahren auszukommen. Ruckzuck, zackzack, nur ohne Skilift. Wirkliche Erfüllung aber lässt sich ebensowenig austricksen wie die Physik.

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1 Antwort

  1. Danke L.M. für den Hinweis – es war natürlich Jürg Randegger am Skilift! https://m.youtube.com/watch?feature=youtu.be&v=8rrFaGNLc5Y

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