Keine Entschuldigung
Ein Journalist der Weltwoche hat abgeschrieben. Er hat einen Fehler gemacht und sich entschuldigt. Daraufhin hat sich sein Chef für den Fauxpas ebenfalls entschuldigt. Auch Bravo hat sich entschuldigt, in diesem Fall für wenig reflektierte Flirttipps. Entschuldigung, es war nicht so gemeint, das war ungeschickt formuliert, pardon, und sorry, das ist leider schiefgelaufen. Entschuldigung, und fertig. Der Akt des Entschuldigens ist zur leeren Hülle geworden, ein schrumpeliger Ballon, aus dem die Luft entwichen ist. Eine automatisierte Reaktion, ein gedankenlos ausgestossenes Wort. Äxgüsi, so tönt es auch eins ums andere Mal, wenn man im Pendlergewühl geschubst und gestossen wird. Dreht man sich nach der rüppelhaften Person um, ist sie im Gewühl verschwunden. Man entschuldigt sich, und geht von der Bühne. Exit. Aber damit ist es nicht getan, eine Entschuldigung ist kein Delete, macht nichts Ungeschehen. Die Verletzung schmerzt, Ärger und Enttäuschung bleiben, das Vertrauen ist erschüttert.
Wenn ein Journalist abschreibt, ist das weder eine Bagatelle noch ein Kavaliersdelikt, denn er missbraucht Vertrauen, das manch einer dann auch unschuldigen Dritten entzieht. Es ist ein ernsthaftes Vergehen, weil es die Unberechenbarkeit der Welt erhöht, was uns immer schlecht bekommt. Auch tut es manchmal tatsächlich weh, wenn man von andern angerempelt wird, einem ein Koffer ans Schienbein oder ein Rucksack ins Gesicht schlägt. Zusammenstösse können Spuren hinterlassen, an Taschen oder Gegenständen, die man bei sich trägt. Glas zerbricht, man muss einen Knopf wieder annähen oder einen Blumenstrauss ersetzen, den man als Mitbringsel auf dem Weg zu einer Einladung in der Hand hielt. Wer einfach wegläuft, foutiert sich um das Unheil, das er angerichtet hat. Eine mechanisch abgesonderte Floskel macht ganz bestimmt nichts wieder gut. Immerhin bereitet man anderen zusätzlichen Aufwand, stiehlt ihnen die Zeit oder richtet sogar materiellen Schaden an, vom immateriellen ganz zu schweigen. Wir haben uns derart daran gewöhnt, alles per Knopfdruck bequem und schnell erledigen zu können, dass wir die alltägliche Serie von Entschuldigungen längst mental durchklicken. Sorry, scho guet, käs Problem! Damit wird en passant entschieden, dass der andere keinen substantiellen Nachteil aus dem eigenen Fehlverhalten hat. Easy.
Aber so leicht ist es nicht. Wenn sich jemand entschuldigt, wird erwartet, dass man umgekehrt dann nachsichtig ist mit ihm. Doch wie soll man verzeihen, wenn einem eine leere Formel ohne Blickkontakt und im Vorbeigehen entgegen gemurmelt wird? Was zurückbleibt ist nichts als eine Worthülse, die man uns ohne Mitgefühl vor die Füsse gespuckt hat. Eine Entschuldigung ist keine Einwegkommunikation, sondern vielmehr eine Bitte, ein Angebot zum Dialog, an dessen Ende im Idealfall Vergebung steht – und dafür ist Verstehen eine notwendige Voraussetzung. Beim Fehlbaren bedeutet es Einsicht, beim Betroffenen Einordnung. Wer sich entschuldigt, muss erklären und begründen, seinem Gegenüber den Hergang schildern. Der Täter klagt sich selbst an und bekennt sich schuldig. Dem Opfer gebührt nun Aufmerksamkeit und Zeit, um entstandene Verletzungen zu beklagen. Ein Geschädigter darf wütend sein, muss offene Fragen klären. Fehlverhalten kann man nicht mit einem abgedroschenen Ausdruck korrigieren, nur Zeit heilt Wunden.
Der Sinn einer Entschuldigung ist nicht, sich selbst von Schuld freizusprechen, sondern das Vertrauen anderer in uns und in die Welt wieder herzustellen. Wenn jeder tun und lassen kann, wie es ihm gefällt, es bei Nichtgefallen ausreicht, kurz Entschuldigung! zu stammeln, dann kann man nichts mehr ernst nehmen und wir gehen samt dem Geschaffenen bald in Beliebigkeit unter. Urs Gehriger hat abgeschrieben, und sich entschuldigt. Wir möchten gerne glauben, dass es nicht mehr vorkommt, doch woher wissen wir, dass er es nicht wieder tut? Eine Entschuldigung ist in etwa so aussagekräftig, wie historische Performancedaten von Finanzprodukten: man hält fest, was bisher geschah, doch über die Zukunft sagen sie nichts aus. Der Schaden besteht aus einem gewaltigen Vertrauensverlust, den man mit einem Gemeinplatz nicht ersetzen kann. Roger Köppel hat sich bei der Leserschaft entschuldigt, trotzdem muss sich diese künftig fragen, wo der Text wohl herkommt. Wenn ein Journalist abschreibt, genügt es nicht, ihm eine schlechte Note ins Heft zu schreiben. Wir wollen unser Vertrauen zurückhaben, damit die Welt wieder ein bisschen berechenbarer wird. Ansonsten erwächst aus nagender Unberechenbarkeit die traurige Gewissheit, dass wieder abgeschrieben ist, was man gerade liest. Spätestens dann allerdings ist ein leeres Heft einer inhaltslosen Entschuldigung vorzuziehen.