Respekt vor Medienverantwortung
Ein Feuerball, der keiner war, nichts, was den Lauf der Welt verändert, schreibt Christof Moser, und erklärt, weshalb die Geschichte vom Feuer im Houdini ein Sinnbild für die Vertrauenskrise sei, in der die Medien und ihre Macher steckten. Ähnlich liessen sich Dutzende anderer Meldungen kommentieren. Dabei geht es nicht nur um Halbwahrheiten und Medienbashing, sondern um Verantwortung, genauer um Markus Spillmanns Frage, ob Journalisten überhaupt noch Verantwortung wahrnehmen, und ob von ihnen heute noch verantwortungsvolles Handeln erwartet wird. Eine Frage, die man angesichts der zahlreichen Brandherde wohl allgemeiner stellen muss: Banker, Lobbyisten und Politiker werden reihum ebenso für immer neue Miseren verantwortlich gemacht wie Ärzte, Versicherer und Händler aller Art. Innerhalb der Branchen wird die Verantwortung einhellig bei den Unternehmensleitungen verortet. Das Problem ist erkannt, doch über Lösungen wird allenfalls geflüstert.
Seit jeher disputieren Hinz und Kunz in solchen Fällen am Stammtisch deutlich lauter darüber, was denn nun zu tun sei. So wie die Erfindung des Buchdrucks das Wissen über Klostermauern hinaus trug, erlaubt uns die Digitalisierung heute auch das Mithören von Gesprächen in Elfenbeintürmen, Amtsstuben und feudalen Beratungszimmern. Statt am Stammtisch sitzen wir nun im Zug, am Schreibtisch oder auf dem Sofa. Medien bringen Debatten dorthin, wo wir sie hören und mitreden können. Auch beim Bierchen wurde früher viel Blödsinn geredet, sank das Niveau zuweilen tief. Doch schon damals gab es jene, die klärend eingriffen und die Diskussion wieder in die richtigen Bahnen lenkten. Wer Artikel kommentiert, nur weil die Headline reizt, sich aber die Mühe nicht macht, den Text zu verstehen, dem darf und soll ein Community Manager die Leviten lesen. Es langt, Kari, los z‘ersch ämal zue! Ohne gegenseitigen Respekt sind konstruktive Dialoge nicht möglich, und ohne Debatten kann eine Demokratie nicht prosperieren.
Wir leben in einem Land, in dem wir über die Trottoirbeleuchtung vor dem Haus ebenso mitbestimmen können wie über die Stellung der Schweiz in einer globalisierten Welt. Doch wer so viel darf, trägt auch Verantwortung. Niemand kann sich eine Meinung bilden, indem er lediglich die eigenen Bauchgefühle in die Welt hinaus lärmt. Eine respektvolle Debatte setzt voraus, dass man weiss, wovon man spricht, bevor man schreit und schimpft. Für Journalisten bedeutet das sauberes Recherchieren, für die meisten andern gilt, sich erst einmal sorgfältig zu informieren. Das bedingt allerdings, dass Medienschaffende die Debatten mit substantiellen Inhalten bereichern und sie auch über die Zeit kompetent moderieren. Tun sie das nicht mehr, verweigern sie ihren Kunden eine Dienstleistung, und letztlich den Dienst an der Gesellschaft. Dabei reicht es nicht, die Welt samt ihren Ärgernissen nur zu beschreiben. Anders als das kollektive Jammern in der Kaffeepause jener, denen auch in andern Branchen zuweilen ein eisiger Wind ins Gesicht schlägt, ist das Schreiben eines Journalisten eben mehr als eine stille Unmutsäusserung an der Klagemauer: wenn sie schreiben, handeln sie vor Publikum. Natürlich bedingt verantwortungsvolles Handeln Respekt vor den Folgen des Tuns – aber auch vor jenen des Lassens.
Wenn Journalisten im Chor mit Laiensängern ins hohe C einstimmen, das hier für die Verantwortung der CEO samt Geschäftsleitungen, Verwaltungsräten und Aktionären steht, dann müssen sie die Solistenrolle übernehmen. Summen nämlich Redaktoren mit ausgebildeter Stimme nur verhalten mit, drücken sie sich vor ihrer Verantwortung. Vom Medienbashing zumeist verschont geblieben sind die Wirtschaftsjournalisten. Das erstaunt, gerade sie könnten dringend benötigte Brücken bauen. Von ihnen darf man tatsächlich mehr Tun und weniger Lassen fordern, denn während in anderen Branchen wohl Arbeitsplätze verloren gehen, steht bei der Krise der Medien auch unsere Demokratie auf dem Spiel. Eben weil Unternehmen vor allem Geld verdienen und nicht in erster Linie Demokratien retten wollen, muss man das verantwortungsvolle Handeln hier von den Redaktionen erwarten. Deshalb braucht es auch von Wirtschaftsjournalisten wieder echte Feuerbälle, Artikel, die den Lauf der Welt verändern, und den einen oder andern entfesselnden Harry Houdini. Dafür gebührt ihnen dann auch der wohlverdiente Respekt.