Und jährlich grüsst der Muttertag
Die Parkplätze vor den Altersresidenzen sind völlig überbelegt, die Tische in den Cafeterias liebevoll mit Buntem und Blumigem geschmückt. Auf den Strassen schleichen mehr Sonntagsfahrer vor einem her als sonst und die Landgasthöfe machen respektable Umsätze. Ach ja, es ist Muttertag! Ich vergesse das zumeist, denn schon meine Grossmutter ignorierte den Gedenkanlass, für sie war er ein Relikt aus einem düsteren Reich. So vorbelastet, machte auch meine Mutter mir ihre Abneigung früh und nachhaltig klar: die Reaktion auf das im Kindergarten unter Zwang gebastelte Geschenk war unmissverständlich. Doch die meisten Mütter müssen am Muttertag eben nicht kochen, man geht auswärts, und die Oma bekommt endlich wieder einmal ihren Sohn zu sehen. Pralinen, Konfekt und Kuchen, alles herzig verziert: Merci, Mama, Du bist die beste, bei grösserem Gebäck sogar die allerbeste. Muttertag für Mamas, Valentinstag für Verliebte und Hochzeitstag für die Verheirateten, Hauptsache einmal im Jahr nett und aufmerksam sein. Dabei wäre in allen Fällen das tägliche bisschen Höflichkeit und Anteilnahme mindestens dreihundertvierundsechzig Mal mehr wert. Immateriell, natürlich. Denn was die materiellen Umsatzzahlen angeht, lebt so mancher Betrieb mittlerweile förmlich von solcherart Anlässen und ihren lukrativen Liebesbezeugungspaketen mit Blumenstrauss, Süssem und Restaurantbesuch. Ein Wunder haben die Juweliere den Muttertag noch nicht für sich entdeckt.
Die Emanzipation macht um manche Angelegenheiten einen erstaunlich weiten Bogen. Natürlich gibt es einen Vatertag, wenn er auch hierzulande eher still begangen wird. In anderen Ländern geht es lauter zu und her, allerdings eben gerade nicht mit der Familie, sondern mit den Kumpels. Die Jungs nehmen eine Auszeit, nicht nur von der Küche, in der sich ohnehin zumeist die Frau breit macht, sondern gleich vom ganzen Daheim. Bei unseren nördlichen Nachbarn beliebt sind Fahrradtouren auf Biergartenrouten, Abenteuerausflüge (mit Bierkasten) oder Weinverkostungen – immer im Herrenklub, versteht sich. Wer an diesem Tag nach Spuren der Moderne sucht, wird wenigstens in der Presse fündig. Zum Wyberhaagge am Muttertag allerdings kam es am Zürcher Kantonalschwingfest, an dem ein Bündner Sieger schon als Offenheit für neumodische Einflüsse gewertet wird. An anderer Stelle wird dann aber doch das Tabu gebrochen, wenn die Idealisierung der Mutterliebe und das Muttertagsessen als Lohnersatz gleichermassen hinterfragt werden. Sogar die Debatte rund um Reue und Ablehnung in Sachen Mutterschaft wird thematisiert.
Es tut sich also doch etwas. Auch in den Dorfläden, wo man an der Kasse auch kinderlosen Frauen eine Rose schenkt. Männer bleiben allerdings noch immer ausgeschlossen vom Haushalts- und Erziehungsdank, obwohl es immer mehr eigentlich genauso verdienen würden. Die geschenkte Rose an der Kasse ist wohl als Dankeschön des Ladenpersonals an die Mütter gedacht, dank deren Erziehungsarbeit sich der Nachwuchs beim Einkauf einigermassen zu benehmen weiss. Eine Alternative wäre allerdings, die Quengelware an der Kasse gleich woanders hin zu packen. Zumal Eltern zunehmend überfordert sind mit dem kindlichen Trotz und ihrer sturen Weigerung, den erziehenden Freunden auf Augenhöhe begegnen zu wollen. Natürlich ist es zermürbend, wenn man auf offene Fragen vom Zweijährigen nie eine klare Entscheidung zu hören bekommt, ermüdend, wenn die Tochter auch nach dem Stillen abends um elf im Sushilokal nicht mehr stillsitzen will und der Sohnemann sich nicht für einen Pulli entscheiden kann, obwohl er ja auch ohne reden zu können einfach auf den gewünschten zeigen könnte. Auch für all diese Strapazen wird am Muttertag den Müttern gedankt. So gesehen scheint der Tag nicht veraltet, sondern nötiger denn je. Vielleicht aber sollte man in Erwägung ziehen, den Eltern einen Erziehungsworkshop zu schenken, statt einfach nur die Mutter zum Sonntagsbraten im Hirschen einzuladen, wo die Kinder wieder artig sein müssen und die Väter mit dem Handy beschäftigt sind.
Überhaupt sind fantasievollere Ansätze am Muttertag längst überfällig. Gerade in diesem Jahr hätten die Mütter es den streikenden deutschen Erzieherinnen in den Kitas gleich tun können: die Kinder den Vätern in die Arme drücken und bummeln gehen. Wem der Masskrug im Biergarten zu schwer ist, kann sich ja ein Cüpli an der Bar gönnen. Dort liesse sich wunderbar mit kinderlosen Freundinnen, die viele Mütter oft über Jahre nicht mehr getroffen haben, über Reue, Vorurteile und andere Ärgernisse rund ums Muttersein und Nichtmuttersein plaudern. Umgekehrt tät es den Vätern gut, am Vatertag auch einmal selbst in der Küche zu stehen und die Mütter mit einem Menu zu verwöhnen. Mit der Einladung zum Auswärtsessen macht man es sich ja dann doch etwas allzu leicht. Ausserordentlich modern wäre es gar, Vatertag, Valentinstag, Muttertag und Frauentag gleich zusammenzulegen. Man könnte den Tag individuell am Hochzeitstag, an einem geeigneten Geburtstag oder einfach an einem lauen Sommerabend mit allen gemeinsam begehen. Mit den Kindern, den Freundinnen, den Freunden, den Kinderlosen und den gestressten ebenso wie mit den entspannten Eltern. Aber für eine solche Idee ist wohl die Gewerbelobby dann doch zu stark.