Eine Rose macht noch keine Liebe

Fit sei das neue Blöd, schreibt Michèle Binswanger in ihrer Analyse zu den scheinbar emanzipierten Männern, die sich in der Fernsehsendung Bachelorette dem Hahnenkampf um eine Henne stellen. Natürlich muss man ihr recht geben. In der Tat spielte die männliche Fitness immer schon eine zentrale Rolle bei der weiblichen Partnerwahl, Intelligenz allerdings auch. Es ist tatsächlich kein Zeichen von Fortschritt, wenn Frauen heute alleine schon beim Anfassen gestählter Muskeln weiche Knie bekommen. Ähnlich bitter ist die Entwicklung, dass Männer ihrer Begleiterin immer seltener in den Mantel helfen, weil sie glauben, es wäre den emanzipierten Frauen recht so. Jenseits der TV-Märchen verzichtet der moderne Mann in Wahrheit immer häufiger auf die Mühen des Hofierens, er sieht ja, was er bekommt. Den jungen Damen ihrerseits reicht ein Griff an die Oberarme, so wie man vor dem Kaufentscheid die Qualität von Früchten prüft. Wir verlieben uns nicht mehr in der freien Wildbahn, sondern suchen im physischen oder virtuellen Regal aus, was wir begehren, und legen es zu den übrigen Convenience-Produkten in den Einkaufswagen. Wenn es mehr fürs Geld gibt, tun manche das offensichtlich auch nach Drehbuch und vor Publikum.

Noch einen entscheidenden Schritt weiter gehen die Paare in der Sendung Hochzeit auf den ersten Blick: sie lernen sich auf dem Standesamt kennen und heiraten gleich ganz ohne Balzfirlefanz und Wahlqual, frei nach dem Aldi-Motto: eine Sorte Erdbeerkonfitüre reicht. Das menschliche Liebeswerben verkommt zum profanen Konsumverhalten. Daran mitbeteiligt sind auch manche Medien, die nicht erst seit gestern wissen, dass sich, mehr noch als Sex, die Sehnsucht nach Liebesglück ausgezeichnet versilbern lässt. Wie bei allem, das wir gratis vom Netz saugen, gilt auch hier: man muss schon mehr bieten, wenn man damit Geld verdienen will. Mehr bedeutet heute vor allem Emotionen, genauer gesagt Dopamin. Es ist ganz praktisch, dass wir das Glückshormon äusserst effektiv mit Neuem und Bewegtem zum Sprudeln bringen können. Kein Wunder, hat sich der Mensch gerade mit dem Internet sein Schlaraffenland geschaffen. Etwas unschön daran sind die Nebenwirkungen. Die Gier nach Neuem und Aufregendem will gestillt sein, doch das hohe Tempo hat Grenzen. Einerseits lässt die Wirkung enttäuschend schnell nach, gleichzeitig überfordert uns die Impulsflut, die täglich über uns hereinbricht.

So überrascht es denn auch nicht, wenn der nächste Trend schon an der Haustür klingelt: Verzicht ist das neue Klug, Entschleunigung das neue Glück. Kein Fleisch, kein Sex, kein Internet. Schon Siddhartha Gautama entdeckte die Askese. Es dauerte ein paar Jahre, bis er erkannte, dass der goldene Weg jener in der Mitte zwischen Verzicht und Luxus liegt. Von da an nannte man ihn Buddha, den Erwachten. Vom Überangebot im Konsumparadies kann einem tatsächlich schlecht werden, von der einen Erdbeermarmelade allerdings auch. Doch wer ganz darauf verzichtet, leidet bald ebenso am Mangel wie an der Unterzuckerung. Der etwas anspruchsvollere Marktteilnehmer hat sich denn auch an den Mehraufwand gewöhnt, den er betreiben muss, um Verstimmungen und Enttäuschungen zu vermeiden. Das gilt übrigens für die Liebe genauso wie für den Magen, ein Zusammenhang, der nicht umsonst im Sprichwort festgehalten ist. So hängt der Genuss am Ende ebenso von der Qualität der Zutaten ab, als auch von der Zeit, die man selbst in die begehrte Sinnenfreude investiert.

Während Frieda auf Koh Samui in acht Runden Rosen an ihre Adonisse verteilt, leben die Fans aus der Ferne nach, was sie im Alltag zu vermissen glauben. Dabei verzichten wir daheim freiwilliger auf das Ersehnte, als wir denken. Wir essen, ohne vorher zu kochen, wenn wir gelegentlich doch am Herd stehen, dann fehlt uns zumeist die vorgängige Erfahrung der Ernte. Selbst wenn wir die Erdbeeren eigenhändig pflücken, haben wir sie selten auch gepflanzt und gepflegt. Wir haben ihnen kein Unkraut vom Leib gehalten und uns nicht um sie gesorgt, als der Regen ausblieb. Die klinisch tote Milch gibt es im Supermarkt, wo kaufluststeigernde Musik auf uns niederrieselt und keine Rindvieher muhen, wo es nach konsumanregendem Chemieduft riecht, und nicht nach Gülle. Die Kuh wird eben nicht im Laden gemolken, das Huhn legt das Ei nicht ins Regal und die Karotten ziehen nicht mitsamt dem Erdreich auf dem Förderband vorbei. Die Werbespots haben ebenso wenig mit dem echten Bauernhof zu tun wie Bachelorette mit wahrem Liebeswerben. Das liegt auch daran, dass die Rose nur dann etwas bedeutet, wenn man sie nicht im Dutzend und geköpft aus Gläsern zieht und mit klebrigen Worten an Revers steckt, sondern sie trotz ihrer Dornen eigenhändig zieht, giesst und dort bewundert, wo sie gesunde Wurzeln schlagen. „Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, sie macht deine Rose so wichtig“, sagte schon der Fuchs zum kleinen Prinz.

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