Perchta

Samichlaus stapft samt Esel durch den nassen Schnee, doch die Stille trübt nun immer häufiger ein rotbackiger Santa, der auch nach einem Gläschen Snaps seinen Schlitten in wilder Fahrt durch die Luft manövriert. Er schreit Ho Ho und seine Rentiere erleuchten längst auch hiesige Vorgärten. Der Esel steht verdutzt am Waldrand, macht I-A und hält vom Fliegen nichts, auch nicht vom Schlitten ziehen. Er trottet weiter durch den Schnee, die Last der Säcke trägt er auf dem Rücken. Darin liegen unter Nüssen und Mandarinen auch die Grittibänze. Ein Gritti ist ein alter, bärtiger Mann, der mit gespreizten Beinen dasteht, was ihm wohl den ersten Teil des Namens gab, denn das Hefeteiggebäck neigt beim Aufgehen und Backen ganz von selbst dazu, die Gliedmassen auszubreiten. Den Rest des Namens verdankt er wohl der Tatsache, dass Benz oder Bänz als Kurzform für Benedikt in der Zeit seiner Entstehung, wohl im 17. Jahrhundert, so häufig war, dass man den Namen gelegentlich auch als Synonym für einen Mann im Allgemeinen verwendete. Der Grittibänz ist also ein Mann mit gespreizten Beinen. Aber der Bursche hat viele Namen. In Deutschland kennt man ihn auch als Stutenkerl. Stuten ist verwandt mit Steiss, so nannte man früher den dicken Teil des Oberschenkels, folglich werden längliche Weissbrote ihrer Form wegen bis heute als Stuten bezeichnet. Solch bildhafte Bezeichnungen findet man auch bei der Brezel, die ihren Namen vom lateinischen Wort brachium (Arm) bekam, weil sie an verschlungene Arme erinnert. Im Mittelalter soll man Büssern und Kranken, welche die Eucharistie nicht empfangen konnten, den Hefemann als Kommunionsersatz gegeben haben. Ans Büssen erinnert uns die Fitze, die der treue Esel ebenfalls befördert. Das Büssen haben wir schon früh gelernt, brav unser Verslein einstudiert, widerwillig zwar, doch angesichts des Sündenregisters war uns schon damals klar, der Aufwand lohnt sich, wenn man damit nicht nur der Fitze entrinnen kann, sondern obendrein noch mit Nüssen und Schokolade entschädigt wird. Jahrzehnte später, mit Phasen und Akzenten zwischen erzieherischer Fragwürdigkeit und erhaltenswerter Tradition, übten wir erst selbst und später mit dem Nachwuchs in Familie und Firma fleissig weiter Sprüchlein ein, um Hieben auszuweichen und nicht im Sack zu landen, sondern aus demselben vielmehr mit Zuckerbrot belohnt zu werden. Vom häuslichen Frieden bis zum unternehmerischen Erfolg fordert fast jede Sozialstruktur ihren Tribut an Heuchelei und Nettigkeit. Kleine Geschenke erhalten Freundschaften, Blumen und Schmuck sichern daheim Infrastruktur und Personal, am Jahresende wird man unter Bergen von Geschäftskundenkarten begraben, während zu Hause die Mailbox mit herzlichen Wünschen von Menschen überquillt, denen man oft physisch nie und virtuell auch nur am Rande je begegnet ist. Nach allen Regeln des modernen Business-Knigges demonstrieren wir Präsenz, putzen Klinken und markieren unser Territorium. Doch wie in den Gefielden dieser Führungsriegen herrscht offenbar auch bei Samichlaus und Grittibänz die grosse Frauenflaute. Immerhin, wer länger sucht, wird schliesslich doch noch fündig und man stösst auf die Vermutung, der Grittibänz könnte nicht nur den wilden Jäger Wotan darstellen, sondern auch Frau Holle, die ihrerseits in Wirklichkeit eigentlich die germanische Göttin Perchta ist und sich in Wotans Umfeld tummelte. Der Dame begegnet man übrigens vor allem in den eisigen Nächten zwischen Wintersonnenwende und Dreikönigstag, wenn sie im Schneegestöber durch die Lüfte fährt. Auch wenn die Chlausgesellschaften es anders sehen: weder Grittibänz noch eine tiefe Stimme hinter falschem Bart sind immer männlich. Frau Perchta spricht mit sehr sonorer Stimme und trägt auch unter ihrer Pelerine zu schweren Stiefeln niemals einen Rock!

Teilweise aus: Weiberzeit

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